Bilder aus dem Krieg

Fotokolumne

Süddeutsche Zeitung Magazin

Heft 10/2023, 10. März 2023

Sirenen dröhnen über Kiew. Luftalarm. Die Erzieherinnen in diesem Kindergarten im Stadtzentrum sammeln eilig alle Kinder ein und führen sie über die Straße. In einem Wohnhaus gegenüber haben sie einen Keller angemietet und dort einen privaten Schutzraum eingerichtet. So kindgerecht wie möglich, mit kleinen Stühlen, etwas Verpflegung und Spielsachen, denn es kann Stunden dauern, bis das Heulen über der Stadt verhallt. Die Frauen versuchen, Ruhe zu bewahren und die Mädchen und Jungen von der Gefahr abzulenken. »Eine herzzerreißende Szene«, sagt Lesha Berezovskiy. Der Fotograf war am 23. Dezember zu Besuch im Kindergarten, um Fotos von der Leiterin Zinaida Mykolaivna zu machen. Es war einer ihrer letzten Arbeitstage vor dem Abschied in die Rente. Kurz darauf zog Mykolaivna zu ihrer Enkelin ins Ausland. Weg von den Luftalarmsirenen, den Stromausfällen und der Kälte. Aber die Trennung von ihrer Heimat und der Arbeit, der sie fast vierzig Jahre lang nachging, fällt ihr schwer. Mykolaivna überlege bereits zurückzukehren, vielleicht will sie sogar wieder arbeiten, erzählt Berezovskiy: Die Kinder würden ihr fehlen.

Lesha Berezovskiy, Jahrgang 1991, ist Fotograf in Kiew und dokumentiert
in seinen Projekten den Krieg. »Die Arbeit hilft mir, mit der Situation umzugehen«, sagt er.

Heft 05/2023, 3. Februar 2023

Es tröpfelt von den Fichten in diesem Park im Zentrum von Irpin. Vorhin fiel noch Schnee, nun taut er bereits. Sascha Kremenko steht dort vor seinem Wohnblock im Matsch und Nebel und grillt. Der Strom ist wieder einmal ausgefallen. Niemand weiß, wie lange dieser Zustand anhält, manchmal dauert es ein paar Stunden, manchmal Tage. Am Tag zuvor hat die russische Armee die Infrastruktur in der Region um Kiew beschossen. Der staatliche Netzbetreiber rief daraufhin eine Notsituation aus. Kremenko hat keine Zeit zu warten, bis er wieder in der Wohnung kochen kann, denn er erwartet Gäste. Es ist der 17. Dezember, sein 34. Geburtstag. Immerhin kann er seinen Freunden so etwas Lauwarmes servieren, wenn sie später im Wohnzimmer zusammensitzen. Die Menschen in Irpin sind beeindruckend pragmatisch, sagt der Fotograf Sebastian Backhaus, der Kremenko mit dessen Vater und Tochter bei den Vorbereitungen für die Feier traf. Große Teile des Vororts der Hauptstadt waren zu Beginn des Krieges zerstört worden, auch ein benachbarter Wohnblock am Park wurde beschädigt. »Der Wiederaufbau geht unglaublich schnell voran«, sagt Backhaus, viele Gebäude stehen bereits wieder. Der Krieg ist überall spürbar, aber die Menschen fahren auf eine selbstverständliche Art mit ihrem Leben fort. Auch wenn das oft bedeutet, dass sie improvisieren müssen. Bei Sascha Kremenko gibt es heute Hühnerschenkel.

Sebastian Backhaus, geboren 1979, ist Fotojournalist in Berlin. Viele seiner Projekte entstehen in Krisengebieten, besonders häufig ist er im Irak und in Syrien unterwegs.

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